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Die Maltechnik Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle
Autor: Prof. Oskar Emmenegger
Die folgenden Angaben beschränken sich auf die Malereien in den Lünetten und
denen im Gewölbe. Sie bestehen auf Mitteilungen der dort ausführenden
Restauratoren und von Beobachtungen des Schreibenden an Ort. Die Malweise
Michelangelos ist an den Lünetten zudem publiziert in "Die Sixtinische Kapelle
von Carlo Pietrangeli", Benziger Verlag Zürich 1986.
Grundsätzlich ging Michelangelos in zeichnerischem Aufbau an den Lünetten
anders vor als am Gewölbe. Dieser Wechsel wird logisch weil er im Gewölbe zu
malen begann, dort Erfahrungen sammelte und die erarbeitete Sicherheit nutzte
indem er sich bei den Darstellungen in den Lünetten auf die schwarze
Intonacoskizze beschränkte. Hierzu zwang ihn auch die Tatsache, dass er sehr
unter Zeitdruck arbeiten musste. Erstaunlich ist die am Gewölbe zu beobachtende
Situation, dass er sich mit wachsender Erfahrung vom anfänglich bunteren und
intensiveren Colorit löste und sich immer mehr auf einfachere Farbformeln
beschränkte. Dafür setzte er um so mehr konsequent Komplementarfarben ein. Hier
schöpfte er voll von seinem dreidimensionalen Denken als Bildhauer, wie auch von
den erlebten Entdeckungen der Antike und den zeitlichen Auffassungen des 15.
Jahrhunderts. Er präsentiert plastisches dreidimensionales Denken, übertragen
auf die Malerei die beeinflusst ist vom Erbe der Antike und vom Zeitdruck, der
ihm zu einem vereinfachten Vorgehen zwang. Er hat es als einer der ersten Maler
verstanden unwesentliches in den Hintergrund verfliessen zu lassen und das
gemalte auf Distanz dem Betrachter darzustellen. Was von nahe flüchtig scheint,
wirkt von unten richtig. Er hat sich wohl als einer der 1. Maler vom Schema der
Tafelmalerei gelöst und bahnbrechend den Weg vorbereitet, das Wand- und
Deckenmalerei so zu gestalten sind, dass sie vom Betrachter unten mit neuen
absolut illusionistisch wirkenden Situationen erlebt werden.
Es ist eine Einleitung für Darstellungsauffassungen mit
Verkürzungskonstruktionen wie sie später im 17. und 18. Jahrhunderts auch im
Norden der Alpen zur Zielsetzung wurden.
Vorgehen
1. Putz auf Ziegelmauerwerk und Applikationsart in Bezug auf
Tagesleitstungen
Putz:
Der Putzauftrag erfolgte nach vorgesehnen Arbeitseinheiten. Deren Begrenzung
sind lesbar durch klare Putznähte. Sie entstanden beim applizieren einer
weiteren Putzfläche an ein bereits bestehendes, bemaltes Intonauco. Die
unbemalten Teile wurden abgeschnitten und die neue applizierte Fläche durch
intensives Glätten an das Niveau des bestehenden Intonaco angepasst. Es gibt in
der Regel Nähte von aneinander anstossenden Auftragseinheiten und solche der im
Mittelalter üblichen verwendeten Variante, wo die neue Auftragsfläche die
Bestehende überlappt und mittels Glätten aneinander angepasst wurden. Die zirka
15 mm breite intesiv geglättete Anschlusszone zeigt das Negativ eines hierzu
verwendten spachtelähnlichen Instrumentes. Auch die übrigen Intonacooberflächen
sind gut geglättet und zeigen daher keine Oberflächenstruktur des
Zuschlagstoffes. Der Verputz besteht aus dem Bindemittel Kalk und der roten
Tuffoerde (Trachit) der dem Verputz eine leicht violett rötliche Farbe gibt. Das
Arriccio ist zirka 15 mm dick. Das zirka 5 mm starke Intonaco ist viel zu dick
für den feinen Tuffosand von 0 bis 2 mm, weshalb die vielen tiefen Schwundrisse
entstanden. Die aufeinmal aufgetragenen Intonacoflächen bei den Lünettenbilder
sind so gross, dass sie unmöglich in einem Tag fertig bemalt werden konnten.
Michelangelo malte nach Erkenntnissen der ausführenden Restauratoren an
grossflächig verputzten Einheiten noch nach 2 bis 3 Tagen weiter und die
Malereien haben trotzdem gut a Fresko abgebunden. In den Lünetten hat er den
Verputz in 3 Sektionen auftragen, eine für den Bereich mit der Schrifttafel, je
einen für die Darstellungen links und rechts. Diese Arbeitseinheiten sind klar
durch Putznähte abgegrenzt. Die auf einmal verputzten Einheiten (zirka 5 m²) mit
den über 2,50 m hohen Darstellungen sind zu gross für eine Tagesleistung. Dies
wird noch deutlicher an der minutiösen Malweise Michelangelos, die Farbe mit
Trattegiostrichen bei den Modellierungen aufzutragen. Seine Malerei ist geradezu
eine Demonstration das der Begriff Fresco, in den frischen Putz zu malen, ein
sehr dehnbarer Begriff ist, in Bezug auf Arbeitsdauer auf grossflächig
applizierten Arbeitseinheiten. In der 1986 erschienen Publikation "Die
Sixtinischen Kapelle", Teil "Die Methoden der Restaurierung" geht zwar Gianluigi
Colalucci davon aus das Michelangelo eine Tagesleistung von durchschnittlich 5
m² bewältigte (S. 261) also pro Lünette 3 Tage. Für grössere Änderungen kratzte
er das Intonaco konsequent weg und liess ein neues für die Korrekturen
applizieren. Bei den Gewölbemalereien und denen der Karyatiden, Propheten und
Gewölbezwickel schaffte Michelangelo viel kleinteiliger. Für die Köpfe der
Karyatiden wurde z.B. einzeln verputzt, teils für den Oberkörper mal für ein
Bein.
2. Vorstudien
Auf Papier wurden Studienskizzen zu den Decken und Lünettenbilder als
Federzeichnungen mit Bisterdusche, Kohle und Rötelstiften gemacht. Die mit
Dusche ausgeführten Skizzen sind meist sehr klein 2,5 bis 6,5 cm und dienten als
erste Grobskizze. Die Kohlezeichnungen oft auf dem selben Blatt aber meist auf
der gegenüberliegenden Seite sind bereits grösser und zeigen konkretere
Ausführungen. Die Rötelzeichnungen gehen bereits auf kleinste Detail ein. Das
Skizzenbuch mit den Skizzen in Tinte und Kohle befindet sich im Oxfordmuseum.
Die Stellung der Schwangeren links der Roboan in der Abias-Lünette übernahm er
von einem männlichen Flussgott auf dem Semptinus-Severus Triumpfbogen.
3. Zeichenhilfen und Intonacskizze
3.1 Gewölbemalerei
Festellen kann man das gradlinige Gliederungen geritzt sind, teils auch
Achsen für Gesichter, z.B. für den Kopf der delphischen Sybille. Dort markierte
er so die senkrechte Achse des Gesichtes von der Stirn über den Nasenrücken zum
Mund und Kinn. Eine horizontale Achse ritzte er von Auge zu Auge in der Höhe der
Augenwinkel und Pupillen (hierzu benutzte er Nägel oder Spachtel). Am Gewölbe
benutzte er Kartons deren Zeichnung er in das frische Intonacco mit einem
spitzen Instrument durchdrückte. Die durchgedrückten Zeichnungen dienten als
Orientierungshilfe während des ganzen Malprozesses. Diese Übertragungstechnik
verwendete er für die Umrisse der zu malenden Partien von Figuren wie Beine,
Arme, Köpfe und Gewänder. Zudem markierte er damit detailreiche Gewandfalten,
spärlich die Binnenzeichnung von Körperteilen. Noch erhalten sind die Löcher, wo
einst die Nägel steckten zur Befestigung der Kartons, so z.B. bei den gemalten
Gurten zu den Karyatiden. Anhand der Abstände der Nagellöcher müssen dort zirka
110 cm hohe Kartons verwendet worden sein. Weitere Zeichnungshilfen sind das
Polvero, dass er z.B. für die Binnenzeichnung der Gesichter und den Linienfluss
der Haare verwendete. Besonder gut zu erkennen ist die Lochpause in der
Darstellung "Erschaffung Adams" so wurde ein Daumen der linken Hand des
Gottvaters zur Markierung der Schattengrenzen im Gesicht des grössten Engels für
die Augenbrauen, die Augen und Augapfel, ferner an den hellvioleten Gewand für
die Falten des Gottvaters. Die Linien von den durchgedrückten Kartons lassen
sich leicht von den Ritzungen mit Nagel und Spachtel unterscheiden. Die Kerben
der Kartondurchzeichnungen haben keine Kan-ten, sie sind abgerundet. Die
Geritzten zeigen scharfe leicht gefranste Kanten Einleitungen mittel Ordinaten
konnten keine gefunden werden. Doch darf man davon ausgehen, auch wenn es keine
Beweise gibt, das diese Vergrösserungsmethode möglicherweise auf dem Arriccio
angewendet wurde, was aber wegen der geschlossen erhaltenen Malerei nicht
abgeklärt werden kann. Die Herstellung von Kartons und Lochpausen, für Figuren
in Monumentalgrösse, setzten 1:1 Zeichnungen voraus die mittels Ordinaten
vergrössert wurden. Zudem erleichtert es die Arbeit die Fläche zu bestimmen wo,
Intonacoputz appliziert werden soll. Die Tatsache, das kaum Pentimente zu finden
sind, belegt das Michelangelo nebst einer klaren Bildvorstellung sich sehr an
die 1:1 Zeichnungen hielt die ebenso genau auf dem Intonaco wiedergegeben sind.
3.2 Lünettenbilder
Wie schon oben erwähnt ging Michelangelo an den Lünetten anders vor. Dort
benutzte er keine Kartons. Hinweise auf Lochpausenübertragungen konnten keine
beobachtet werden. Zu arbeiten begann er mit den Schrifttafeln, den deren
Mittelachsen bestimmen die Komposition und Symetrie dieser Bildflächen. Die
Geraden der Rahmen markiert er bald mittels Schnur (Negativabdruck) bald mit
Nägel (Lineal als Anschlag). Zu finden sind Umrisse der Figuren mit sicher
geführten dunkelbraunen Pinselzeichnungen. Gut erkennbar z. B. in der
Sadoch-Lünette am Kinn, dem gelben Gewandsaum zum Hals und der gelben Stolla der
Azor. Hatte Michelangelo, da er an den Lünetten zuletzt malte, bereits soviel
Erfahrung, das er die Figuren frei anhand von Skizzen malen konnte ? Benutzte er
das Polvero und zog es gleich bei Ausführungen der dunkelbraunen Intonacoskizze
nach oder benutzte er Arriccioskizzen zur Orientierung ? Letzteres könnte der
Fall sein, weisst doch Fabrizio Mancinetti in seinem Beitrag "Die wahren Farben
Michelangelos" in "Die Sixtinische Kapelle" auf zwei wichtige Beobachtungen hin.
In der Zorobabel- und der Osisaslünetten folgt die Zeichnung wie die Putznaht
genau den Rückensilouetten der Figuren in der linken Bildhälfte. Der Verlauf
dieser Putznähte setzt praktisch aber die Orientierung nach von einer
Arriccioskizze voraus. Dies Fragen werden aber wohl offen bleiben.
4. Farbauftrag
Michelangelo malte grundsätzlich in Freskotechnik dies allerdings ganz
gewählt, den er beabsichtigte abschliessend al secco Retouchen durchzuführen.
Sie unterblieben aus Zeitgründen, Kosten? oder physische Erschöpfung des
Meisters ? Für Hintergründe legte er mit breitem Pinsel flächig den Grundton an
und ohne darauf zu achten ob das Intonaco gedeckt oder noch schwach streifig
erscheint. Die Gewänder erhalten den entsprechenden Lokalton der mit unvermischt
aber reinem Pigment aufgetragen ist. Dieser Auftrag ist bei stark roten, gelben,
violetten und grünen Gewänder deckend, bei helleren ist er lasierend. Nicht
selten wird das grau/weisse Intonaco selber der Lokalton vorallem wenn Tücher,
Schals, Gewandteile oder das Haar auslaufend in den Hintergrund verfliessen. So
z.B. beim Bild Erschaffung des Adams der lange grüne Schal. Bald ist der
Hintergrundton der Lokalton bei gleichen obigen Situationen. Starke Lichter und
Schatten legte er mit breitem rundem Pinsel an wenn sie parallel zu den Falten
liegen kommen. Grossflächiger Lichter und Schatten schuf er mit nebeneinander
gezogenen 3 bis 4 mm breiten Schraffuren und steigerte sie wo nötig durch
kreuzweisen Auftrag mit Weiss für Lichter auf hellroten, hellgelben, grauen,
violetten und grünen Gewändern. Oft steigert er Lichtabstufungen z.B. bei Gelb
zuerst mit aufgehelltem Gelb und erst dann mit Weiss. Für Schatten wechselt er
bei grünem Lokalton auf violette Schraffuren, bei Weiss mit Blau oder oder Umbra
Erden. Ungewohnt wirken, im ersten Moment, die eingetzten Komplementärfarben,
z.B. violett als Schatten zu Rot (lesender Jüngling in der Naason-Lünette), auch
Blau zu Rot, Violet zu Gelb am Kleid Joatham in der Achaz-Lünette, oder rote
Schatten zum grünen Kleid Josephs, dass in der Bauchpartie gelb wird (Jakob,
Joseph-Lünette). Vergleicht man aber die nebeneinander eingesetzten
Komplementärfarben an den Gewänder einzelner Figuren in der Brancaccikapelle (Florerz
(Chiesa del Carmine) von Masaccio oder jenen von Spinello Aretino ? in der
Sakristei der selben Kirche, an einem Gewand violett zu Gelb ist dies nicht mehr
so sonderlich. Man kennt die Farbkompositionen des italienischen Manierismus zu
wenig, zumal die wirklichen Farbzusammenstellungen unter Schmutz, Patina,
Fixierung nicht zur Geltung kommt. Die Inkarnate wie auch die Gewänder sind an
den Deckengemälden, dem jüngsten Gericht, den Propheten und Karyatiden besonder
auffallend und minutiös mit den 3 bis 4 breiten Schraffuren für Lichter wie
Schatten, herausmodelliert. Die Art wie die Modellierung geschaffen ist, mit dem
Pinsel, entspricht dem des Manuellen vorgehen des Zeichnens auf Papier. An den
Lünettenbilder, vorallem an denen näher zur Altarwand, schraffierte er immer
weniger. Der Kopf des Achim zeigt eine geradezu Impressionsistisches Vorgehen
und nur noch spärliche Schraffuren. Jedenfalls wechselt die Malweise der
Lünettenbilder beinahe von Darstellung zu Darstellung. Bald minutiös genau
schraffiert, dann nur noch sporadisch, Zeitnot ?, psychisch müde ? Egal warum
immer zeigen sie gereiftes, vollendetes Können gegenüber den Anfängen im Gewölbe
("Trunkheit Noahs und Opfer Noahs") spärlich und sehr gezielt setzt er
Mordentvergoldungen ein, so dass sie von unten gar nicht auffallen. So an den
Balustern seitlich der Propheten zu den Nischenpodesten, und als Reflexe zu den
Bronze Medaillons. Die zu den Lünettenbilder analysierten Farben sind:
- Gelber Ocker, roter Ocker, Ferrosilikate (grüne Erde ?), Lapislazuli
(Ultramarin), Morellensalz (Ferroesquoxyd), eine nero vite genannte Kohle, als
Schwarz und Kalk für Weiss.
Noch nicht bekannt sind die Pigmente an den Gewölbemalereien. Es scheint dort
die selbe Farbpalette verwendet worden zu sein. Auffallend sind am Gewölbe zwei
verschiedene Blautöne das eine ist Lapislazuli dass andere nach Beurteilung am
Ort Smalte. Für die Schatturlassuren an gemalten Architekturgliederungen dürfte
Umbra grünlich verwendet worden sein. Gemischte Farbtöne sollen keine verwendet
worden sein, nach Fabrizio Moncinelli, doch die vorkommenden grauen Farben und
die Lokaltöne für Inkarnate lassen sich sicher nicht ohne Zusammenmischen
verschiedener Pigmente herstellen. Durch übereinander legen der unvermischten
Farbpigmente, in dünnster Lasuraufträgen, gleich dem Aquarell, enstanden feinste
Tonabstufungen mit der ein und selben Farbe, als wäre eine reiche Farbpalette
verwendet worden wäre. Michelangelo kam mit sechs Farben an den Lünetten aus, an
den Gewölben, für die Gewölbeflächen dürften es 6 bis 8 Farben sein.
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